EuGH: Kostenfreie Erstkopie der Patientenakte
Eine Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag ist die Ermöglichung der Einsicht des Patienten in seine Behandlungsunterlagen (§ 630g BGB). Der Behandler muss dem Patienten dabei auch eine Kopie der Unterlagen zur Verfügung stellen gegen Erstattung der dafür entstandenen Kosten (§ 630g Abs. 2 Satz 1 BGB). Seit Geltung der EU-Datenschutz-grundverordnung stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis das kostenfreie datenschutzrechtliche Auskunftsrecht (Art. 12 Abs. 5 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Satz 3 DSGVO) und das kostenpflichtige Patientenein-sichtsrecht zueinanderstehen.
Der Patient einer Zahnärztin wollte es wissen und stützte sein Einsichtsrecht in die Patientenakte zur Prüfung des Vorliegens von Behandlungsfehlern auf die DSGVO. Die von der Zahnärztin nach BGB geforderte Erstattung der für die Kopie entstandenen Kosten lehnt er ab. Der Fall wanderte aufgrund einer Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Der Generalanwalt, der die Entscheidungen des EuGH in sogenannten Schlussanträgen zum Teil mit vorbereitet, plädierte unter Anwendung von Art. 23 Abs. 1 lit. i DSGVO (Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen) sehr zugunsten der Leistungserbringer und für die weiterhin bestehende Anwendbarkeit des § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB: „Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht gehe ich davon aus, dass die maßgebliche nationale Regelung darauf abzielt, von unnötigen oder leichtfertigen Anträgen auf Anfertigung einer Kopie abzuhalten, um (i) die wirtschaftlichen Interessen der Ärzte zu schützen, die häufig Einzelunternehmer sind oder in kleinen Teams arbeiten, und auf diese Weise (ii) sicherstellen, dass die Ärzte bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit (den größten Teil) ihrer Zeit für ihre medizinischen Kernaufgaben und nicht für vermeidbare Verwaltungsaufgaben aufwenden“.
Der EuGH entschied jedoch, dass die Regelung im BGB mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbaren und die erste Kopie der Patientenakte unentgeltlich herauszugeben ist mit folgenden Argumenten:
- Der Auskunftsanspruch nach DSGVO ist auch für Zwecke außerhalb der Prüfung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit anwendbar.
- Das Interesse von Leistungserbringern am Schutz vor missbräuchlichen Auskunftsanträgen kann diesen Anspruch nicht verhindern, weil dann auch berechtigte Auskunftsan-sprüche kostenpflichtig wären. Die DSGVO garantiert aber ein Recht auf Kostenfreiheit der ersten Kopie. Erst jedes weitere Auskunftsverlangen wird kostenpflichtig (Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DSGVO).
- Die Auskunft umfasst die Herausgabe „beispielsweise“ der „Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen.“ Eine Herausgabe der Daten durch den Behandelnden „in zusammengefasster Form“ hält der EuGH nicht für zulässig wegen der Gefahr von unrichtiger Wiedergabe oder Auslassungen.