Beweislastumkehr bei fehlender Dokumentation der Befunderhebung - Wie weit reicht sie?
Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22.12.2019 (Az.: VI ZR 71/17)
Was ist eigentlich ein Befunderhebungsfehler? Und wie wird er nachgewiesen? Der BGH hat Ende des vergangenen Jahres ein wichtiges Urteil zu diesen Fragen gefällt, das auch für Podologinnen und Podologen von Bedeutung ist. Geklagt hatte ein Patient gegen einen Facharzt für Unfallchirurgie wegen eines angeblichen Behandlungsfehlers. Der Arzt habe ihm nach einer Verletzung am Fuß (Absprengung am Processus anterior calcanei) zunächst einen sog. OPED-Stiefel verordnet und dann einen Gipsverband angelegt. Weil dieser Verband aber zirkulär und nicht gespalten gewesen sei, leide er nun dauerhaft unter CRPS (Komplexes regionales Schmerzsyndrom; auch Morbus Sudeck) und habe Anspruch auf Schmerzensgeld.
Der beklagte Arzt bestritt die Anlegung eines zirkulären Gipsverbands; dieser sei gespalten gewesen. Aus der Dokumentation des Arztes ging dies indes nicht hervor; eine Eintragung zum Gipsverband fehlte insoweit völlig. Während der Patient in der zweiten Instanz vor dem Oberlandesgericht obsiegte, hob der BGH dieses Urteil auf und stellte fest, dass die Beweislastumkehr bei fehlender Dokumentation nicht so weit ginge, dass sie „unabhängig von der Wahrscheinlichkeit des Befundergebnisses“ erfolgt. Was bedeutet dieses Urteil konkret?
- Ein Befunderhebungsfehler, den das Gesetz erstmals im § 630 h Abs. 5 Satz 2 BGB nennt, liegt dann vor, wenn der Behandelnde im Behandlungsverlauf trotz Beschwerdepersistenz des Patienten die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlässt. Damit unterscheidet er sich vom Diagnosefehler, der am Anfang einer Behandlung steht. Befunderhebungsfehler werden dabei häufig als grober Behandlungsfehler eingestuft. Das ist bedeutsam, weil bei groben Behandlungsfehlern die Kausalität des Behandlungsfehlers für die Verletzung vermutet wird (§ 630 f Abs. 5 Satz 1 BGB), so dass eine Haftung des Behandelnden eintritt.
- Wenn der Behandelnde (das sind im Sinne des Gesetzes nicht nur Ärzte, sondern auch Angehörige nichtärztlicher Gesundheitsberufe) die nach § 630 f BGB zwingend erforderliche Dokumentation der wesentlichen Maßnahmen der Behandlung unterlässt, so tritt wiederum eine Vermutung ein: Das nicht Dokumentierte wurde nach gesetzlicher Vermutung auch nicht geleistet (§ 630 h Abs. 3 BGB). Diese Vermutungsregelung ist für den Behandelnden besonders gefährlich und zeigt zugleich die Bedeutung gewissenhafter Aufzeichnungen in der Patientenakte.
- In dem hier erläuterten BGH-Fall argumentierte der Patient nun, der Arzt habe nicht dokumentiert, wie der Gips angelegt worden gewesen sei, so dass zu vermuten sei, die Erkrankung an Morbus Sudeck sei auf den Befunderhebungsfehler (falscher Gipsverband bei persistierenden Schmerzen) zurückzuführen. Diese Argumentation hat der BGH als zu weitgehend abgelehnt. Eine unterlassene Dokumentation führt nur zu der Vermutung, dass eine solche Behandlung nicht stattgefunden hat. Sie führt aber nicht zwangsläufig zu der Vermutung, dass ein bestimmter vom Patienten vorgetragener Befund (hier: schwere innere Schwellung mit der Folge eines Morbus Sudeck nach zirkulärem Gipsverband) auch so vorgelegen habe. Die Vermutung eines solchen Befundes greife nach der Vermutungsregel des § 630 h Abs. 5 Satz 1 BGB nur dann ein, wenn ein solches Befundergebnis „hinreichend wahrscheinlich ist“.
Trotz dieser Einschränkung der Vermutungsregel durch den BGH bleibt für die behandelnde Podologin/den behandelnden Podologen doch zu beachten: Die wesentlichen Maßnahmen (z.B.: Abtragung einer schmerzhaften Druckstelle am Fuß) sind unbedingt zu dokumentieren, weil sie andernfalls als nicht erbracht gelten. Wenn dann noch eine medizinische Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der zugrunde gelegte Befund (schmerzhafte Druckstelle beim Diabetischen Fußsyndrom) vorgelegen hat, wird die Beweislastumkehr (unterlassene Abtragung) mit der Folge eines haftbaren Behandlungsfehlers (schlechter heilende Wunde, evtl. mit weiteren schweren Folgen) kaum zu erschüttern sein.
Dr. Karin Althaus-Grewe, Rechtsanwältin
Rechtsberaterin des Bundesverbandes für Podologie e.V.
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